
Bremer Pastorin Yvonne Ziaja geht in ihren Beobachtungen zur aktuellen sozialen Situation in ihrer Kirchengemeinde Neue Vahr offen mit den Herausforderungen um, die in einem zunehmend polarisierten Deutschland auftreten. In ihrem Stadtteil hat über die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund, was Ziaja als Bereicherung, aber auch als Herausforderung empfindet. Bei Bestattungen stellt sie eine zunehmende Vereinsamung fest; häufig nehmen Angehörige nicht teil. „Niemand geht den letzten Weg allein“, sagt sie. Die Kirche sei ein Ort, an dem jede Bestattung „mit Gebet und Segen“ verabschiedet wird, unabhängig von den sozialen Umständen der Trauernden.
Die Lebenssituation in der Neuen Vahr ist komplex: Mit einem Durchschnittseinkommen von etwa 28.000 Euro liegen die Einnahmen der Familien 12.000 Euro unter dem städtischen Schnitt. Im Kontext eines sozialen Brennpunkts ist die Armut fast in jedem dritten Haushalt zu finden. Ziaja und ihre Kirchengemeinde verzweigen deshalb ihre sozialen Dienste und bieten zum Beispiel einen afrikanischen Mittagstisch oder einen Marktplatz der Begegnungen an. Diese Initiativen sollen den Kontakt zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen fördern und Vorurteile abbauen.
Politische Einmischung und gesellschaftliche Herausforderungen
Besonders besorgt äußert sich Ziaja über die gesellschaftliche Polarisierung und den politischen Streit in Berlin, der auch ihre Arbeit beeinflusst. Die Politik habe versäumt, essentielle Probleme wie die Bildungsgerechtigkeit ausreichend anzugehen, was ihre Besorgnis verstärkt. Zusammen mit anderen kirchlichen und diakonischen Einrichtungen sieht sie die Notwendigkeit, sich aktiv in politische Debatten einzumischen. Sie betrachtet die AfD und deren Ideologien als Bedrohung für die gesellschaftliche Wertebasis.
Zusätzlich macht die Bremische Evangelische Kirche auf die Sorgen über die häufig diskriminierenden Äußerungen zu Migration aufmerksam. Pastor Bernd Kuschnerus und Karin Altenfelder von der Diakonie Bremen betonen, dass die Ursachen für Flucht – Gewalt, Hunger, Perspektivlosigkeit und Klimawandel – differenziert betrachtet werden müssen. Ein pauschales „Flüchtlingsproblem“ halte dem nicht Stand. Die Notwendigkeit für eine faktenbasierte Debatte wird von ihnen eindringlich gefordert.
Migration und gesellschaftliche Integration
Der gesellschaftliche Kontext zeigt, dass Migranten und Migrantinnen seit den 1960er Jahren einen festen Bestandteil der deutschen Sozialstruktur bilden. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung stellen sie heute rund 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Diese demografische Veränderung geht allerdings mit Herausforderungen einher, insbesondere in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarktintegration. Die Diskrepanz zwischen Migranten und Einheimischen hinsichtlich der Lebensbedingungen ist noch immer erheblich.
Die vergangene Geschichte der Migration in Deutschland lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen, von der Gastarbeiteranwerbung bis zur heutigen Akzeptanzphase, in der Reformen zur Einwanderung und Integration diskutiert werden. Dennoch bestehen weiter Vorurteile und Diskriminierungen, die es zu überwinden gilt.
Ziaja hält an ihrem Optimismus fest und glaubt an die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft. Ihre Arbeit in der Kirche sieht sie als sinnstiftend und als Teil einer größeren Verantwortung. „Die Herausforderungen von Beruf und Familie erfordern Unterstützung, die nicht immer einfach ist“, reflektiert sie. Gleichzeitig unterstreicht sie die Notwendigkeit von Meinungsäußerungen und Kompromissbereitschaft, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, sei es in der Gemeinde oder in der politischen Landschaft Deutschlands.